
Psychotherapieverfahren der DDR –
Pawlow’sche Schlaftherapie
Begründer und Hauptvertreter in der DDR
Der Psychiater Dietfried Müller-Hegemann (1910 – 1989) regt Anfang der 1950er Jahre die Einführung der Pawlow‘schen Schlaftherapie in der DDR an. Unter seiner Leitung wird die Klinik für Neurologie und Psychiatrie der Universität Leipzig die Hochburg der Schlaftherapie in der DDR. Neben Müller-Hegemann setzen sich auch die Ärzte Hellmuth Kleinsorge (1920 – 2001) in Jena sowie Rudolf Baumann (1911 – 1988) in Berlin für die Einführung der Pawlow’schen Schlaftherapie an ihren Kliniken ein.
Zeitliche Einordnung
Die Entwicklung der Schlaftherapie ist eng mit der Doktrin des Pawlowismus in der DDR verknüpft. Bereits 1951 beginnt Müller-Hegemann an der Leipziger Klinik mit der Schlaftherapie zu experimentieren. Erheblichen Aufwind bekommt die Therapieform durch die Pawlow-Tagung im Jahr 1953, wobei die Prinzipien des Pawlowismus als Leitgedanken in der Wissenschaft, Medizin und Psychologie der DDR festgelegt werden. Nach der Pawlow-Tagung eröffnet Müller-Hegemann an der Leipziger Klinik eine psychotherapeutische Abteilung, in der Schlaftherapie praktiziert wird. In den folgenden Jahren wird die Methode bei hunderten Patient:innen angewandt und weiterentwickelt.
Nachdem 1962 jedoch ein Patient während einer schlaftherapeutischen Behandlung verstirbt und staatsanwaltschaftliche Ermittlungen einsetzen, häufen sich Konflikte um die Person Müller-Hegemann und um die Schlaftherapie. Müller-Hegemann wird 1963 vom Generalstaatsanwalt der DDR hinsichtlich des Verdachts der Herbeiführung des Todes freigesprochen, verlässt aber 1964 aufgrund zahlreicher Konflikte mit dem Klinikpersonal die Leipziger Klinik. Christa Kohler übernimmt die Leitung und setzt eine Abkehr von der Schlaftherapie und eine Hinwendung zu neuen psychotherapeutischen Konzepten durch.

Obwohl Müller-Hegemann von einigen therapeutischen Erfolgen der Schlaftherapie berichtet, kann sie sich nicht langfristig als Therapiemethode in der DDR etablieren. Ihre Anwendung endet in den frühen 1960er Jahren.
Kurzbeschreibung des Verfahrens
Die Pawlow’sche Schlaftherapie besteht im Wesentlichen aus zwei Bausteinen. Den größten Teil nimmt ein medikamentös induzierter Schlaf ein, der sich während eines Zeitraums von zwei bis sechs Wochen über die allermeisten Stunden des Tages und der Nacht erstreckt. Patient:innen sollen dadurch Ruhe und Erholung finden, sodass Funktionsstörungen reduziert und Lebenseinstellungen modifiziert werden können. Der Einsatz der dafür notwendigen Schlafmedikamente ist keinesfalls ungefährlich oder nebenwirkungsfrei, weshalb Müller-Hegemann schon früh auf eine geringe Dosierung der Medikation plädiert. Dennoch sind Intoxikationen und körperliche Schäden dabei nicht auszuschließen. Die zweite Komponente bilden verschiedene therapeutische Anwendungen im Einzel- oder Gruppensetting, die während der Schlafpausen zum Einsatz kommen. Dabei spielen Musik- und Bewegungstherapie, aber auch Autogenes Training und Hypnose eine Rolle.
Insgesamt stellt Müller-Hegemann seine Schlaftherapie in klaren Kontrast zu tiefenpsychologischen Verfahren und betont, dass Patient:innen durch die Schlaftherapie zu einer „vernunftgemäßen Erkenntnis“ gelangen sollen. Er strebt die Aufklärung und Überwindung von aktuellen Konflikten an und betont die Bedeutung von logischem und klarem Denken.
Schlaftherapeutische Ansätze waren in der Medizin schon vor Müller-Hegemanns Arbeit gebräuchlich. So wurde Schlaf als Heilmittel beispielsweise schon in den 1920er Jahren vom Arzt Jakob Kläsi zur Behandlung von Schizophrenie angewandt. Müller-Hegemann greift dies auf und verbindet die schlaftherapeutischen Ideen mit den Lehren Pawlows und einem marxistisch-leninistischen Menschenbild.
Quellen und Literatur
Baumann, R. (1953). Physiologie des Schlafes und Klinik der Schlaftherapie / Rudolf Baumann. Verl. Volk und Gesundheit.
Geyer, M. (2013). Die Leipziger Universitätsklinik für Psychosomatik und Psychotherapie wird 60. Psychotherapie, Psychosomatik, Medizinische Psychologie, 63(05), S. 165-166.
Geyer, M. (Hrsg.) (2011). Psychotherapie in Ostdeutschland: Geschichte und Geschichten 1945-1995, S. 87-96. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.
Steinberg, H. & Weber, M. M. (2011). Vermischung von Politik und Wissenschaft in der DDR. Die Untersuchung der Todesfälle an der Leipziger Neurologisch-Psychiatrischen Universitätsklinik unter Müller-Hegemann 1963. Fortschritte der Neurologie· Psychiatrie, 79(10), S. 561-569.
Scholtz, D., & Steinberg, H. (2011). Die Theorie und Praxis der Pawlow’schen Schlaftherapie in der DDR. Psychiatrische Praxis, 38(07), S. 323-328.
Wendt, H. (1960). Schlaftherapie als Hilfsmittel bei der Behandlung von Neurosen. Leipzig: J. A. Barth.