Psychotherapieverfahren der DDR –
Individualtherapie

Begründer und Hauptvertreter in der DDR

Die Individualtherapie geht auf den Psychiater Karl Leonhard (1904 – 1988) zurück. Mit der Entwicklung des Verfahrens beginnt Leonhard in der Erfurter Nervenklinik. Nach seiner Berufung an die Berliner Charité im Jahr 1957 setzt er die Entwicklung sowie die Umsetzung der Therapie in die Praxis gemeinsam mit einem Team bestehend aus Ärzt:innen und Psycholog:innen eben dort fort.

Zeitliche Einordnung

Karl Leonhard wird Mitte der 1950er Jahre Direktor der Erfurter Nervenklinik und beginnt bereits während dieser Zeit an der Entwicklung der Individualtherapie zu arbeiten. 1957 wird er zum Direktor der Nervenklinik der Berliner Charité berufen. Dort trifft der besonders auf Psychosen spezialisierte Psychiater auf viele neurotisch erkrankte Patient:innen. Um deren Krankheitsbildern in geeigneter Form zu begegnen, wird die Entwicklung seines individualtherapeutischen Behandlungskonzepts vorangetrieben. Zu diesem Zweck wird 1959/60 eigens eine psychotherapeutische Abteilung in der Charité eingerichtet, in der Psycholog:innen und Ärzt:innen verschiedene Behandlungsmethoden erproben und therapeutisch anwenden, die nachhaltig zu einer Symptomfreiheit bzw. -reduktion führen sollen. In den folgenden Jahren werden tausende Patient:innen aus dem Berliner Raum und darüber hinaus (erfolgreich) behandelt.

Im Zuge des internationalen Aufstrebens verhaltenstherapeutischer Methoden setzt sich Leonhard in den 1960er Jahren mit der Frage auseinander, inwiefern seine Individualtherapie eine Verhaltenstherapie ist. Für deren Entwicklung innerhalb der DDR stellt sein Konzept einen wesentlichen Ausgangspunkt dar. Nach Leonhards Emeritierung im Jahr 1970 entwickelt insbesondere sein früherer Mitarbeiter Hans-Georg Schmiescheck die Individualtherapie weiter, der sich ab 1974 innerhalb der Gesellschaft für Ärztliche Psychotherapie (GÄP) der DDR auch für die Verhaltenstherapie engagiert.

Über seine Emeritierung hinaus beschäftigt sich Karl Leonhard weiterhin mit psychiatrischen und psychotherapeutischen Fragestellungen. Die zunehmende Verbreitung gruppentherapeutischer und zugleich den Rückgang einzeltherapeutischer Behandlungsmethoden beobachtet er dabei kritisch und zweifelt die Wirksamkeit von Gruppenpsychotherapien bei neurotischen Störungen entgegen der in der DDR und international verbreiteten Meinung an.

Kurzbeschreibung des Verfahrens

Bei der Individualtherapie handelt es sich um ein Therapieverfahren, das verschiedene jeweils individuelle Behandlungsmethoden für unterschiedliche Neurosenformen vorsieht, wobei der Schwerpunkt auf Expositionsmethoden liegt. Im Therapiekonzept wird grundsätzlich zwischen hysterischen, anankastischen und hypochondrischen Neurosen als Hauptneuroseformen unterschieden, denen wiederum verschiedene Sonderformen angehören, die jeweils einer individuell angepassten Behandlung bedürfen. Karl Leonhard geht davon aus, dass die Neuroseformen unterschiedlicher Patienten von deren Persönlichkeitsstrukturen abhängen und stellt deshalb die Individualität der Patient:innen selbst sowie die Individualität ihrer Neurosen in den Mittelpunkt seiner Therapie. Er bekräftigt außerdem eine aktive Rolle der Patienten, durch die sie ihre Heilung unter therapeutischer Anleitung selbst forcieren können, anstatt lediglich passiv Hilfe zu empfangen. Leonhard betont weiterhin, dass er keine neue psychotherapeutische Methode einführt, sondern bereits bestehende Therapiemethoden den Neurosenformen zuordnet, für deren Heilung sie geeignet sind.

Quellen und Literatur

Geyer, M. (2011). Überblick. In M. Geyer (Hrsg.), Psychotherapie in Ostdeutschland: Geschichte und Geschichten 1945-1995, S.89-90. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Leonhard, K. et al. (1963). Individualtherapie der Neurosen. Jena: Gustav Fischer.

Leonhard, K. (1979). Therapeutisches Versäumnis durch Unterlassung der Einzelbehandlung bei sekundären Fehlentwicklungen. Psychiatrie, Neurologie, medizinische Psychologie, 31, S. 723-729.

Neumärker, K.J. (2011). Die Individualtherapie der Neurosen von Karl Leonhard an der Psychiatrischen und Nervenklinik der Charité Berlin. In M. Geyer (Hrsg.), Psychotherapie in Ostdeutschland: Geschichte und Geschichten 1945-1995, S.99-105. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Sitte, E. (2011). Erfahrungen mit der Individualtherapie nach Leonhard. In M. Geyer (Hrsg.), Psychotherapie in Ostdeutschland: Geschichte und Geschichten 1945-1995, S.105-109. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.

Stoiber, I. (2011). Verhaltenstherapie 1970 – 1979. In M. Geyer (Hrsg.), Psychotherapie in Ostdeutschland: Geschichte und Geschichten 1945-1995, S.307-310. Göttingen: Vandenhoeck & Ruprecht.