
Die Psychologie der DDR in ihren
einzelnen Entwicklungsphasen
1945 – 1949: Der Wiederaufbau in der Nachkriegszeit
Nach der Entnazifizierung der Universitäten in der SBZ werden Kurt Gottschaldt (1902-1991) mit erbpsychologischen Forschungen in Berlin, Werner Straub (1904-1983) mit arbeitspsychologischen Forschungen in Dresden und Werner Fischel (1900-1977) mit tierpsychologischen Untersuchungen in Leipzig jeweils als Institutsdirektoren vor Ort eingesetzt. Inhaltlich setzt die Psychologie in dieser Phase an den Erkenntnissen aus der Weimarer Republik an. Diese ist jedoch politisch-ideologisch als „bürgerlich“ verpönt. Schnell steigt in der Folge der politische Druck, sich hier ideologisch an der Sowjetunion zu orientieren und gleichzeitig stärker von der westlichen Psychologie abzugrenzen. Zudem soll die Psychologie – basierend auf einer marxistisch-leninistischen Weltanschauung – fortan als „Aufbaupsychologie“ zur Umerziehung der älteren Generationen der Bevölkerung sowie zur Bildung und Erziehung der Jugend beitragen.
1950 – 1959: Ideologisierung und Umerziehung
Im Rahmen des Beschlusses „Intellektuelle und die Partei“ von 1948 sowie der zweiten, 1950 begonnenen Hochschulreform werden u. a. ein marxistisch-leninistisches Grundstudium sowie Russisch als Pflichtfach eingeführt. Die Folge ist eine zunehmende inhaltliche Ideologisierung der Hochschul- und Forschungslandschaft, von der auch die Psychologie nicht verschont bleibt. Ein dogmatischer Pawlowismus kann hier zwar abgewendet werden, der Druck, sich an den Leitbildern der sowjetischen Wissenschaften zu orientieren, nimmt indes stetig zu. Unter anderem fällt der Psychologie der bildungspolitische Auftrag zu, sich an der sozialistischen Umgestaltung des Schulwesens bzw. an einer engeren Verknüpfung von Allgemeinbildung und Produktion zu beteiligen. Es erscheinen mehrere Übersetzungen von Fachbüchern aus dem Sowjetischen, die die Grundlage für eine marxistisch-leninistisch ausgerichtete Psychologie darstellen sollen.
1960 – 1969: Profilierung, Institutionalisierung und Pragmatismus
Der Mauerbau zieht eine immer deutlicher hervortretende Trennung der DDR-Psychologie von jener, die in der BRD praktiziert wird, nach sich. Von der Politik wird der Psychologie insbesondere die Aufgabe zugewiesen, als Produktivkraft zu wirken. Gefordert wird u. a. eine psychologische und pädagogische Grundbildung für Funktionäre, Wirtschaftsleiter und Propagandisten. Die DDR-Psychologie nimmt sich daher nun voll und ganz der Aufgabe der Entwicklung des „sozialistischen Menschen“ bzw. der „sozialistischen Persönlichkeit“ an. Die Gründung der Gesellschaft für Psychologie der DDR trägt zusammen mit der allmählichen Übernahme durch die „neue Intelligenz“ sowie einer wachsenden Anerkennung in der Politik dazu bei, dass die Psychologie mehr staatliche Förderung erhält In der Folge kann sie sich landesweit in zunehmendem Maße profilieren und institutionalisieren. Vor allem die Pädagogische Psychologie profitiert von dieser Entwicklung, ist unter den verschiedenen Fachrichtungen der Psychologie aber auch besonders hohem ideologischen Druck von Seiten der SED ausgesetzt. Die zunehmende Förderung und Anerkennung der Psychologie führt u. a. auch zu einer Verdopplung der Studierendenzahlen. Auf internationale Anerkennung stößt in diesem Jahrzehnt vor allem die Kybernetische Psychologie um Friedhart Klix (1927-2004). Zudem wird die Gesellschaft für Psychologie der DDR 1966 als Mitglied in die „International Union of Psychological Science“ aufgenommen, was den Anschluss an die internationale Psychologieentwicklung erleichtert.
1970 – 1979: Zugeständnisse an das Subjekt, Handlungsorientierung
Das politisch motivierte Interesse an den Ressourcen des Einzelnen rückt die individuellen Fähigkeiten, Bedürfnisse und Ressourcen des Menschen in den Mittelpunkt psychologischer Forschung. Die Psychodiagnostik, die Klinische Psychologie und Persönlichkeitspsychologie werden daher stärker gefördert. Die Hinwendung zum Individuum bedeutet allerdings keineswegs eine Abwendung von den bisherigen ideologischen Zielen. Vielmehr gilt es nun, vor dem Hintergrund einer Weiterentwicklung der sozialistischen Persönlichkeit die individuellen Fähigkeiten des Einzelnen so nutzbar zu machen, dass sie dessen Produktivität maximal erhöhen. Nach der Übernahme des Volksbildungsministeriums durch Margot Honecker verstärkt sich in der Pädagogischen Psychologie die Kontrolle und der ideologische Druck, während von anderen Fachrichtungen eher über eine Öffnung berichtet wird.
1980 – 1989: Stagnation und Öffnung
Mit der Austragung des XXII. Internationalen Kongress für Psychologie in Leipzig im Jahr 1980 erreicht die internationale Anerkennung für die Psychologie der DDR ihren Höhepunkt. Zu Ende der Veranstaltung wird Friedhart Klix zum Präsidenten der „International Union of Psychological Science“ gewählt. Innenpolitisch würdigt die SED diesen Erfolg auf internationaler Ebene damit, dass sie der Psychologie in den Folgejahren gegenüber dem nicht-sozialistischen Ausland eine weitere Öffnung vor allem zur westlichen Psychologie gewährt. Trotzdem stagnieren in diesem Jahrzehnt kontinuierlich sowohl die Studierendenzahlen auch als auch die staatliche Förderung der Psychologie. Inhaltlich wird in diesem Jahrzehnt ein biopsychosozialer Ansatz entwickelt, der an die Entwicklungen der internationalen Psychologie anknüpft.
1990 – 1995: Aufnahme in die Psychologie der BRD – Ein Schlussstrich?
Am 3. Oktober 1990 erfolgt die Neuorganisation der Psychologie in beiden deutschen Staaten. Als Leitbild dient die wissenschaftliche Ausrichtung der Psychologie in der Bundesrepublik. Als unmittelbare Folge kommt es zu einem personellen und technischen Ausbau sowie zu Neugründungen von psychologischen Institutionen, aber auch zur Kündigung und zum Transfer vieler psychologischer Wissenschaftler der ehemaligen DDR.