Operative Psychologie

Die Psychologie der Staatssicherheit

Im Jahr 1965 wurde an der Juristischen Hochschule der Staatssicherheit in Potsdam ein Lehrstuhl für „Operative Psychologie“ gegründet. Die Existenz der Hochschule und somit auch des Lehrstuhls war geheim: Weder die Öffentlichkeit noch die Psycholog*innen der DDR wussten von dessen Existenz.

Ziel der Operativen Psychologie war es, psychologisches Wissen und zugehörige Erkenntnisse für die Arbeit der Staatssicherheit nutzbar zu machen. Herangezogen wurden hierfür psychologische Konzepte aus der DDR, aber auch aus dem Ausland. Um gut ausgebildete Mitarbeiter und Lehrende zu gewinnen, wurden Offiziere an die Hochschulen der DDR entsandt, um dort Psychologie zu studieren. Der Geheimhaltung halber allerdings nicht als Offiziere des Ministeriums für Staatssicherheit (MfS), sondern getarnt als Offiziere des Ministeriums des Innern. So zum Beispiel auch Joachim Girke, der in Jena an der Friedrich-Schiller-Universität Psychologie studierte.

Wieso „Operative Psychologie“?

„Operative Psychologie“ ist eine vom MfS erfundene Bezeichnung. Man könnte sie auch mit „Geheimdienstpsychologie“ übersetzen. Eine „geheimdienstliche“ Anwendung fand das Wort „operativ“ in vielen Bereichen der Behörde: Es gab Operative Vorgänge, Operative Personenkontrollen, Operative Mitarbeiter etc.

Das Wort „operativ“ selbst kommt von Lateinisch „operari“ und bedeutet „bereiten“ oder „ins Werk setzen“. Demnach lässt sich die Operative Psychologie auch als eine „unmittelbar wirksame Psychologie“ verstehen.

Die Operative Psychologie sollte neben der Vermittlung psychologischer Grundlagenkenntnisse vier Kernaufgaben erfüllen:

  1. Innerhalb der „Kaderarbeit“ sollte sie insbesondere dazu beitragen, den Einsatz und die Eignung von Mitarbeiter*innen bei der Staatssicherheit zu überprüfen und zu verbessern. Zudem sollte sie dazu genutzt werden, deren berufliche Qualifikationen weiterzuentwickeln. Insbesondere jene, die die Wahrnehmung, die Gedächtnisleistung, das Einfühlungsvermögen, eine spezifische Menschenkenntnis, die Kontaktherstellung oder die Befähigung zur „erzieherischen Einflussnahme“ betrafen.
  2. Bei der „IM-Arbeit“ fiel der Operativen Psychologie vor allem die Aufgabe zu, angeworbene oder anzuwerbende Personen hinsichtlich Eigenschaften wie Zuverlässigkeit und Ehrlichkeit einzuschätzen. Regelmäßig herangezogen wurde sie darüber hinaus zur Etablierung und Festigung scheinbarer Vertrauensverhältnisse zwischen den Offiziellen Mitarbeitern der Staatsicherheit, den von ihnen angeleiteten IMs und den jeweils auszuspähenden Personen.
  3. Der größte Anteil der Operativen Psychologie des MfS fiel der „Feindbearbeitung“ zu. Psychologische Erkenntnisse sollten nicht nur die Ermittlungen verbessern, sondern auch bei der gezielten Beeinflussung von Feinden, also politisch Andersdenkender, Anwendung finden. So sollte sie bspw. genutzt werden, um die Methoden der Zersetzung wirksamer zu gestalten und die Verhöre und Bedingungen in der Untersuchungshaft so zu gestalten, dass die Untersuchungshäftlinge möglichst bald gestehen.
  4. Innerhalb der „Feindbildarbeit“ sollte die Operative Psychologie hauptsächlich nutzbar gemacht werden, um bei Mitarbeiter*innen des MfS wie auch bei IMs gezielt ein negatives Bild von all jenen Personen zu schüren, die als Feinde des Staates galten und diesen beständig mit Hass und Abscheu entgegenzutreten.

„Später in der Ausbildung hieß es bei uns dann die Psychologie im Einsatz für den Menschen, im Einsatz mit dem Menschen, aber auch gegen Menschen.“

Jochen Girke

Die Operative Psychologie des Minsteriums für Staatssicherheit stellte einen Missbrauch der Psychologie dar. Sie nutzte psychologische Erkenntnisse, um Menschen direkt oder indirekt zu schaden und zu unterdrücken. Auf direkte Weise etwa durch Zersetzungsmaßnahmen, bei denen Menschen ohne deren Wissen starkem psychischen Druck ausgesetzt wurden. Indirekt über eine gezielte Einflussnahme auf die IM- und die Kaderarbeit wie auch durch das kontinuierliche Schüren von Hassgefühlen gegenüber Andersdenkenden.

Operative Psychologie der DDR im Eisbergmodell